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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 06.02.2004
Aktenzeichen: 24 U 165/03
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 847 |
2. Jedenfalls wird sich in der Bemessung eines etwaigen Schmerzensgeldes das geringe Gewicht des Fahrlässigkeitsvorwurfs stark anspruchsmindernd auswirken.
3. Hier: Oberschenkelhalsbruch mit der Folge des Einsatzes eines künstlichen Hüftgelenks, fortdauernde Bewegungseinschränkungen und Schmerzbelastungen: Schmerzensgeld nicht über vorprozessual gezahlte 15.000,00 € hinaus.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am 6. Februar 2004
In dem Rechtsstreit
...
hat der 24. Zivilsenat in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 06. Februar 2004 durch ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 13.06.2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Kläger ist mit mehr als 20.000,00 € beschwert.
Gründe:
1.
Der Kläger begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 16.03.2001 in S1 ereignete. Vor dem Landgericht hat er Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes über vorprozessual erhaltene 15.000,00 € hinaus, daneben Feststellung verlangt, dass der damals gerade 8 Jahre alt gewordene Beklagte zum Ersatz eventuellen Zukunftsschadens verpflichtet sei. Das Landgericht hat dem Feststellungsantrag entsprochen und den Zahlungsantrag abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der ein Schmerzensgeld von insgesamt 50.000,00 € für angemessen hält.
Der dem Rechtsstreit zu Grunde liegende Verkehrsunfall ereignete sich in einem Wohngebiet; am Unfallort galt eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h. Der Beklagte war gemeinsam mit anderen Kindern auf Inline-Skatern unterwegs und beabsichtigte, die Straße zu überqueren. Links und rechts der Straße parkten in rechtwinklig zum Fahrbahnverlauf eingerichteten Buchten etliche Fahrzeuge. Seine Spielgefährten hatten die Straße bereits überquert. Der Beklagte beobachtete den Verkehr und begab sich dann auf die Fahrbahn. Gleichzeitig näherte sich der - damals 65 Jahre alte - Kläger mit seinem Motorroller. Die Parteien berührten sich und kamen zu Fall. Der Kläger erlitt einen Schenkelhalsbruch; ihm wurde in der Folge ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt.
Wegen der tatbestandlichen Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Mit der Berufung trägt der Kläger vor, das Landgericht habe mit seiner Einschätzung, das vorprozessual gezahlte Schmerzensgeld von 15.000,00 € entschädige den Kläger angemessen, "den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum überschritten". Die Unfallfolgen belasteten den Kläger schwer; neben der Hüfte sei mittlerweile auch ein Kniegelenk geschädigt. Der Kläger könne keine längeren Strecken mehr zu Fuß zurücklegen, sich nicht mehr auf den Boden setzen oder frei bücken. Sport, insbesondere Wasserski oder Tieftauchen könne er nicht mehr ausüben. Sportliche Betätigung sei aber wegen einer schweren Herzerkrankung medizinisch angeraten. Ungeachtet eines vor dem Unfall festgestellten Behinderungsgrades von 50 % sei er seinerzeit in seiner beruflichen Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt gewesen. So sei es aber nunmehr.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 13.06.2003 verkündeten Urteil des Landgerichts Darmstadt, Aktenzeichen 1 O 598/02, den Beklagten zusätzlich zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 02.08.2002 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des zweitinstanzlichen Parteivorbringens im Einzelnen wird auf die vor dem Berufungsgericht gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
2.
Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat den auf Zahlung weiteren Schmerzensgeldes gerichteten Antrag zu Recht abgewiesen; das Berufungsgericht folgt seiner Einschätzung, dass der Kläger durch die vorprozessuale Zahlung von 15.000,00 € billig entschädigt ist.
Dabei mag dahingestellt bleiben, ob der Beklagte dem Kläger überhaupt dem Grunde nach haftet. Dahingestellt bleiben kann insbesondere, ob die vorprozessuale Zahlung des Haftpflichtversicherers des Beklagten - seiner Eltern - Anerkenntniswirkung zu Lasten des Beklagten entfalten konnte; dahingestellt bleiben mag auch, ob dem zum Unfallzeitpunkt soeben 8 Jahre alt gewordenen Beklagten überhaupt ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden könnte.
Selbst eine Haftung aus unerlaubter Handlung dem Grunde nach unterstellt, stünde oder steht dem Kläger keine 15.000,00 € übersteigende Entschädigung zu. In Abwägung aller Umstände des Falles erachtet das Berufungsgericht den Kläger vielmehr als mit der vereinnahmten Zahlung - jedenfalls - billig entschädigt (§ 847 Abs. 1 BGB a.F.).
a) Selbst zu Gunsten des Klägers unterstellt, dem Beklagten könnte überhaupt der Vorwurf gemacht werden, nicht die Sorgfalt beachtet zu haben, die von einem Jungen seines Alters und seiner Entwicklungsstufe in der Situation des gemeinsamen Spiels im Wohngebiet gefordert werden könnte (dazu: BGH VersR 1964, 385; 1970, 374), dann könnte dieser Vorwurf nur wenig wiegen. Denn der Beklagte stand in einem Alter, in dem Kinder erfahrungsgemäß vom Spieltrieb und einer großen Bewegungsfreude beherrscht sind und Spieltrieb und Bewegungsfreude eine in jeder Hinsicht ruhige, vernünftige Kontrolle des Spiel- und Bewegungsverhaltens stark begrenzen. Typisch für die Altersgruppe ist auch die noch unzureichende Entwicklung der Fähigkeit, die Geschwindigkeit herannahender Fahrzeuge einzuschätzen und diese eingeschränkte Einschätzung mit der gleichsam gegenläufigen Einschätzung des Zeitaufwandes für die Überquerung der Straße zu harmonisieren.
Gerade diesem zuletzt genannten Gedanken hat nunmehr auch der Gesetzgeber mit der zum 01.08.2002 in Kraft getretenen Neuregelung des § 828 Abs. 2 BGB Rechnung getragen. Seine Einschätzung, dass - sogar - noch ein zehnjähriges Kind von den Anforderungen des heutigen Straßenverkehrs oft überfordert sein wird, knüpft an Erkenntnisse an, die - natürlich - bereits auch im Jahr 2001 so richtig waren.
b) In der Anwendung des § 847 Abs. 1 BGB a.F. war auch eine Mitverantwortung des Geschädigten zu berücksichtigen. Mitverantwortlich für das Unfallgeschehen war der Kläger nicht nur wegen der Betriebsgefahr seines Motorrollers, sondern auch deshalb, weil er die Gruppe spielender Kinder, der der Beklagte angehörte, bei genügender Sorgfalt in der Annäherung an die spätere Unfallstelle wahrnehmen und nur mit äußerster Aufmerksamkeit und Vorsicht weiterfahren durfte; das folgte aus dem in § 3 Abs. 2 a StVO zum Ausdruck gebrachten Gebot einer besonderen Rücksichtnahme auf Kinder.
c) Unter den vorstehend vor allem zu lit. a) abgehandelten Verschuldenserwägungen konnte sich das zweifellos sehr erhebliche Maß der unmittelbar und mittelbar verletzungsbedingten Leidensfolgen des Klägers nicht im Sinne eines höheren - 15.000,00 € übersteigenden - Schmerzensgeldanspruchs entfalten. Ist der Schmerzensgeldanspruch auch in erster Linie auf einen - seiner Natur nach nur mittelbaren - Ausgleich der beim Geschädigten eingetretenen körperlichen und seelischen Belastungen gerichtet, so steht dieser Ausgleich doch in einer untrennbaren Verknüpfung mit den Gesamtumständen; der Schmerzensgeldanspruch ist ein einheitlicher Anspruch, in dessen Bemessung sämtliche Umstände des Falles zu berücksichtigen sind (BGHZ 128, 117). Das bedingt, dass auch an sich schwere Verletzungen und Verletzungsfolgen unter im übrigen "gegenteiligen" Umständen nur zu einer vergleichsweise - nämlich im Vergleich zu Fällen, in welchen durchschnittliches oder gar schweres Verschulden des Schädigers gegeben ist - bescheidenen Entschädigung führen.
Nur am Rande sei deshalb erwähnt, dass selbst Fälle, die an durchschnittliches oder gar überdurchschnittliches Verschulden des Schädigers anknüpften, in der Rechtsprechung regelmäßig zu Entschädigungssummen zwar zum Teil oberhalb des hier angemessenen, aber doch deutlich unterhalb des vom Kläger begehrten Satzes geführt haben. Verwiesen sei aus der Vielzahl der den Gerichten unterbreiteten Fälle im weiteren Sinne vergleichbarer Verletzungsfolgen, im einzelnen aber ganz unterschiedlicher Konstellationen auf OLG Hamm NZV 2000, 209, OLG Naumburg vom 12.12.1995, 1 U 143/95, OLG München VersR 1981, 169, LG Nürnberg-Fürth vom 07.06.1994, 2 O 1622/94 (hier mit ungleich schwereren Folgen); LG Darmstadt vom 26.09.1991, 8 O 646/89.
3.
Dem Antrag des Klägers, ihm nachträglich Gelegenheit zur Stellungnahme auf den Schriftsatz des Beklagten vom 15.01.2004 zu geben, ist nicht zu folgen, da allein schon der unstreitige Sachverhalt und das Parteivorbringen des Klägers selbst die Klageabweisung tragen.
4.
Das Berufungsgericht erachtet die gesetzlichen Voraussetzungen einer Zulassung der Revision für nicht gegeben. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Ende der Entscheidung
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